Ich bin nun mal eine Frau!

Kapitel 4: Rollenbilder, Stereotypen, Weiheämter — „das Frauenthema“. Ich wollte es aufsparen, aber es geht nicht mehr. Der Priester sagt, es gibt wichtigere Themen. Wie bitte?

Valerie
Valerie und der Priester

--

Franziskus und ich in Pastors Garten: Was, wenn wir uns nie verstehen werden?

Franziskus und ich treffen uns vor dem Hotel um spazierenzugehen. Das haben wir noch nie gemacht. Es ist irgendein Vormittag im Juni, die Sonne scheint, ich bin froh meine Sonnebrille aufsetzen zu können, als ich aus der Tür trete.

„Guten Morgen, Valerie.“

„Hi Franziskus.“

Ich will normal klingen. Ich höre meine Stimme: Es funktioniert nicht. Wir laufen los, er redet zuerst, ich halte meine Hand vor den Mund, um ihn nicht zu unterbrechen. Er ist fertig, schaut mich an.

Seit ein paar Wochen bin ich jetzt hier in Roxel, Münster. Die Journalistin aus der Großstadt, die keine Ahnung von Kirche hat und eher links und feministisch ist als gläubig. Ich wurde in das Leben von Franziskus gesteckt, dem Priester. Dem Priester, der in Sex-Szenen im Theater eine Versuchung des Teufels sieht.

Wenn meine Freunde in Berlin mich fragen, wie es ist, „Valerie und der Priester“ zu machen, erzähle ich ihnen, dass ich dankbar bin: für die Möglichkeit, diese Welt kennenzulernen, für die Menschen hier, die Offenheit von Franziskus. Ich sage, dass das Experiment großartig ist — und völlig irre.

Wenn sie mich fragen, wie es mir geht, wenn ich in Roxel bin, sage ich, es ist eine Sinuskurve. Es gibt viele gute Momente. Und es gibt schlechte.

Behandeln dich die Leute anders, weil du Priester bist, Franziskus?

Ja, manchmal ist es mir schon ein bisschen unangenehm dann.

Was denn?

Wenn sie mir extra die Tür aufhalten oder mir bewusst als erstes die Hand geben wollen.

Willkommen in meiner Welt.

Wieso?

Genauso werden ja Frauen behandelt.

Das ist was anderes.

Wieso?

Na, ich bin halt ein Mann.

Höhepunkte der Sinuskurve: der Tag in Köln, als Franziskus und ich Kölsch getrunken und auf den Dom-Treppen Burger gegessen haben. Der Salsa-Workshop mit den Messdienern, der Elfriede-Moment und das Lied „Laudato si“. Oder der Abend, als ich mit Franziskus und seinen Mitbewohner Christian und Timo zusammen saß. Es gab Käse, portugiesischem Rotwein und, wirklich, Gespräche über Gott und die Welt.

In den Tälern sind Momente wie gestern Abend.

Messdienerwallfahrt nach Paderborn: 8.000 Ministranten trafen sich in der Stadt (mehr Infos gibt’s hier). Am Ende feierten sie zusammen einen riesigen Gottesdienst. Die Messe wurde von der Bühne ausgefeiert, die anderen Priester saßen auf den Bänken davor, wie Franziskus n der hinteren zweiten Reihe. Zu sehen auf Bild 1: Männer, Frauen, Mädchen, Jungs. Auf Bild 2 und 3 vor allem: Männer.

Ein Thema, zwei Perspektiven

Franziskus und ich telefonierten und planten unsere nächsten Tage. Für längere Gespräche, Diskussionen muss er sich Zeit einräumen. Ich sagte, dass ich gern über „das Frauenthema“ reden würde. Was das genau heißt, weiß ich selbst nicht. Ich weiß nur, dass es bestimmt nicht zwischen Mittag und Gebet passt.

Franziskus sagte, dass es andere Themen gäbe, die vielleicht erstmal wichtiger wären. Zölibat, Gebete, Glauben: Dinge, die seinen Alltag mehr betreffen, und daher auch meinen. Und die mich daher seiner Meinung nach mehr irritieren müssten.

Ich denke, dass mich „das Frauenthema“ täglich betrifft, täglich irritiert. Dass ich jetzt darüber reden will, weil ich sonst platze.

Ich sage: „Für mich ist es aber wichtig. Ich bin nun mal eine Frau!“ Ich will normal klingen. Es funktioniert nicht. Franziskus denkt ernsthaft, dass Thema sei für mich nicht jeden Tag irritierend?

Franziskus merkt, dass ich wütend bin. Denke ich. Zumindest sagt er, wir sollten noch mal drüber schlafen und morgen reden.

Und es gab wirklich noch keine Situation, in der ich dir auf die Nerven gegangen bin, Franziskus?

Nein. Also einmal war ich etwas ungeduldig, weil du den Leuten, bei denen wir waren, noch einige Fragen gestellt hast. Ich musste ja noch die Predigt schreiben. Aber das ist vor allem mein Problem: Dass ich deine Fragen nicht als von Gott gegeben sehe, damit auch ich etwas Neues lerne.

Auch nicht, wenn ich bestimmte Sprüche mache? Oder in bestimmten Gesprächen?

Also klar, in Diskussion habe ich eine andere Meinung. Obwohl ich denke, vielleicht sind wir da ja gar nicht so unterschiedlich.

Franziskus und ich haben uns bisher noch nicht gestritten. Ich glaube, wir haben noch nicht einmal richtig diskutiert. Einmal haben wir es versucht.

Da saßen wir zusammen auf seinem Balkon und aßen getoastetes Vollkornbrot mit Kräuterquark. Es war furchtbar. Weil wir beide anstrengend höflich waren und tausend Themen durcheinander geworfen haben.

Es ging eigentlich um Erziehungsfragen. Franziskus sprach von Ausnahmen, die es immer gebe und Einzelfällen, die man sehen müsse — aber auch vom Ideal: das seien nun mal Mutter und Vater. Ich sprach davon, dass es in einer glücklichen Kindheit auf anderes ankommt als das Geschlecht der Eltern.

Aus Franziskus Bücherregal: „Gender-Ideologie“, herausgegeben von „Kirche in Not. Weltweites Hilfswerk pästlichen Rechts“. Erster Satz ist ein Zitat von Joseph Ratzinger von 2005: „Bald wird man nicht mal mehr behaupten dürfen, dass die Homosexualität — wie die katholische Kirche es lehrt — eine objektive Unordnung im menschlichen Leben darstellt.“ Genau, das wird man doch wohl noch sagen dürfen. So. Und ich trinke erstmal einen Tee.

Ich wollte platzen. Aber schwieg. Franziskus musste los, an der nächsten Predigt arbeiten. Wir einigten uns darauf, Zahlen zu recherchieren.

Endet eine Diskussion so, zeigt das, wie wenig man einander versteht: Zwei Es-ist-so-Positionen stehen sich gegenüber, kein Verständnis möglich, sodass es Zahlen braucht.

Franziskus und ich lächelten zum Schluss. Kein Konsens- Lächeln.

Als ich nach dem Balkongespräch nach Hause ging, fragte ich mich, wie dieses Jahr funktionieren soll.

Diskutieren ohne Verstehen?

Es geht bei „Valerie und der Priester“ nicht um eine Bekehrung, weder von Franziskus noch von mir. Es geht um eine Begegnung. Aber ist es eine Begegnung, wenn jeder in seiner Es-ist-so-Positionen verharrt? Wenn sich keiner im Verstehen annähert?

Aber wie soll ich mich ihm annähern, wenn ich weiß, dass ich Recht habe? Wie er sich mir, wenn er weiß, dass er Recht hat?

Und wenn wir uns nicht verstehen — wie soll dann dieses Jahr funktionieren?

Auf dem Weg in die Kirche: Messdiener dürfen auch Mädchen und Frauen werden. Priester und Diakon aber nicht.

Suchst du Geschenke für Kinder nach deren Geschlecht aus, Franziskus?

Ich schenke Mädchen, was Mädchen mögen und Jungs, was Jungs mögen. Den Mädchen zum Beispiel ein Ponyheft, den Jungs eine Wasserpistole.

Mögen Jungs keine Ponys?

Nicht so sehr wie Mädchen.

Als mich Franziskus vor dem Hotel abgeholt hat, habe ich mich das wieder gefragt: wie denn dieses Jahr funktionieren soll.

Wir laufen seit ein paar Minuten rum. Franziskus erklärt sich. Sagt nochmal, er dachte nur, es gäbe andere Themen die in seinem Alltag präsenter sind und mich daher mehr irritieren. Er ist fertig, schaut mich an.

Ich nehme die Hand, die mich davon abhalten sollte den Priester zu unterbrechen, von meinem Mund und antworte:

Dass das „Frauenthema “ für mich ständig präsent ist – und mich ständig irritiert. Bisher habe ich nicht in jeder Situation etwas gesagt, weil es im Kleinen oft lächerlich klingt und für das Große keine Zeit war. Aber: „Es nervt mich.“

Eindruck von der Priesterweihe in Köln

Es nervt mich, dass ich im Kölner Dom bei der Priesterweihe sitze, in den Bänken hunderte von Frauen, die beten, glauben, und dann schaue ich hoch zum Altar und sehe: Männer. Ich sehe Frauen, die so viel Arbeit in die Jugend- und Gemeindearbeit stecken. Im Mittelpunkt der Gottesdienste, oben um den Altar: Männer. Mich nervt der Mann von Facebook, der schreibt, dass die katholische Kirche andere Probleme habe, als sich um Dinge wie das Priesteramt für Frauen zu kümmern: eine Marginalität nennt er das. Eine strukturelle Benachteiligung der Hälfte der Menschheit — eine Marginalität!

Mich nervt, dass in Franziskus’ Regal das Buch steht „Warum Männer schlecht zuhören und Frauen schlecht einparken“. Und der Flyer: „Die Genderideologie“ — der nervt mich auch. Und überhaupt, solche Sätze wie: „Ich bin halt ein Mann.“

„Das nervt mich, und deswegen reagiere ich gerade so, und deswegen will ich darüber reden.“

Franziskus und ich reden in „Pastors Garten“, wo in Roxel das Pfarrhaus steht

Aufstehen, aufeinander zugehen

Franziskus hört sich an, was ich sage, widerspricht mir nicht, sieht nicht genervt aus, guckt nicht blöd, nickt nur verständnisvoll.

Er sagt, er habe nicht wahrgenommen, dass mich das umtreibt. Krass. Wie kann er das nicht gemerkt haben?

Ich entschuldige mich, dass ich so auf ihn einrede, so schnell, so ungefiltert, so viel auf einmal und immer wieder lauter werde. Franziskus: Nein, das ist gut, das muss ja auch mal raus.

Meine Wut: verschwindet. Dieses Seelsorge-Ding hat er wirklich raus.

Franziskus sagt, wir können gern über „das Frauenthema“ reden, gern bei nächster Gelegenheit, wann immer ich will. Ich sage, nächste Woche fliegen wir ja zusammen nach München.

Vielleicht mögen ja auch Mädchen Pistolen statt Pferdeheften, Franziskus.

Sollte man vielleicht mal ausprobieren.

Am Abend des gleichen Tages feiert Franziskus den Gottesdienst in einer kleinen Kapelle mit Firmlingen. Ein Lied, das sie singen, heißt: „Aufstehen, aufeinander zugehen“. Als ich vielleicht 14 Jahre alt war, gehörte dieses Lied mir und meiner besten Freundin. Wir malten ständig sich hinsetzende und aufstehende Strichmännchen in unsere Mathehefter.

Ich kann nicht anders, meine Füße machen mit, mein Mund bewegt sich mit. Ich schaue auf den Liedzettel, obwohl ich den Text auswendig kenne. Als ich einmal kurz zu Franziskus schaue, guckt auch er gerade — er lacht. Wie ich.

Sven Schuhmacher hier hat uns mit vielleicht 14 Jahren auf das Lied gebracht: Aufstehen, aufeinander zugehen

Auf dem Nachhauseweg erzähle ich Franziskus von den Strichmännchen. Er sagt, dass er das Lied nicht kannte. Lachen musste er, weil er es ausgerechnet an diesem Tag das erste Mal hörte. Er hat es auf uns beide bezogen, ihn und mich, Valerie und den Priester.

Der Text ist:

„Wir müssen aufstehen, aufeinander zugehen // voneinander lernen, mit einander umzugehen. // Aufstehen, aufeinander zugehen // und uns nicht entfernen, wenn wir etwas nicht verstehen.“

Franziskus findet, das passt.

Naja, und ich bin ja sowieso seit mehr als zehn Jahren Fan des Liedes.

Nichts verpassen? Ihr könnt mir auch auf Facebook und bei Twitter folgen. Neben den Blogeinträgen gibt es dort weitere Beobachtungen, Fotos und Ohrwürmer.

--

--