Priesterweihe: Jetzt bloß nicht hinlegen!

Was für Eheleute die Hochzeit ist, ist für Priester ihre Weihe. Unterschied: Sie dauert länger, es werden Heilige angerufen und es gibt mehr Weihrauch. Eindrücke aus Freising

Valerie
Valerie und der Priester

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Zur Weihe gehört die sogenannte Handauflegung: Alle anwesenden Priester treten nacheinander an die Kandidaten heran und segnen sie. Franziskus ist hier der zweite von rechts. Dauer der Handauflegung in Freising: 23 Minuten.

Egal, wie dieses Jahr enden wird, es gibt etwas, das ich nie wieder vergessen werde: was der Unterschied zwischen Pfarrern und Priestern ist. Erstens, weil es eine der häufigsten Fragen von Freunden und Bekannten ist. Zweitens, weil sich das, was beide Ämter unterscheidet, über mehrere Stunden in meine Erinnerung eingebrannt hat: die Priesterweihe.

Pfarrer leiten eine Pfarrei, die gibt’s also auch bei den Protestanten. Priester aber gibt es nur im Katholischen. Ihre Weihe ist ein Sakrament, also heilig — quasi durch Gott selbst vollzogen.

Kirche im 21. Jahrhundert: Die Weihe wurde auch auf Leinwänden gezeigt, damit alle Anwesenden etwas sehen können.
Der Beginn der Handauflegung. Im Hintergrund: Kardinal Reinhard Marx
Acht Kandidaten wurden in Freising zu Priestern geweiht

Es ist das letzte Juniwochenende, gestern sind Franziskus und ich nach München geflogen. Jetzt stehe ich vor der ersten Säule rechts im Freisinger Dom und schaue auf Kardinal Reinhard Marx, den Erzbischof von München, der die Priester — sozusagen im Namen Gottes — weiht. Acht Kandidaten stehen vor ihm. Hinter ihm stehen sehr viele bereits geweihte Priester, einer davon Franziskus.

Die Weihe ist so etwas wie die Hochzeit für Priester. Sie dauert nur wesentlich länger und es gibt mehr Weihrauch. In jedem Bistum werden einmal pro Jahr Priester geweiht — vorausgesetzt, es sind genug sogenannte Priesterkandidaten da, die man weihen kann.

Priesterweihe, die zweite

Der Freisinger Dom ist komplett voll, viele Leute stehen — hinter den Bänken, auf der Treppe oder an der Seite wie ich. Eine Dame neben mir war so clever einen ausklappbaren Stuhl mitzubringen. Ich nicht, obwohl ich es besser hätte wissen müssen.

Das hier ist schon meine zweite Priesterweihe binnen eines Monats. Vor ein paar Wochen war ich im Kölner Dom, als fünf Kandidaten geweiht wurden. Ein befreundetet Katholik schrieb mir vorher: Bloß nicht hinlegen! Da wusste ich noch nicht, warum.

Mein Twitter-Post von der Priesterweihe in Köln

Kardinal Marx spricht komplett frei in seiner Predigt. Er erzählt von einer Sehnsucht, die es in der Welt gebe. Einer lebendigen Sehnsucht. Einer Sehnsucht nach der Gestalt des Priesters. Priester seien ein Brückenschlag zu Gott. Er bedankt sich, dass die Kandidaten nicht taub waren, dass sie ihre Berufung gehört haben.

Die meisten Priester hinter Marx schauen vor sich hin oder geradeaus, während sie der Predigt zuhören. Franziskus hat die Augen geschlossen, stützt sein Kinn in seine Hand und schaut nach unten. Das macht er oft, wenn er Predigten zuhört.

Alte Priester, neue Priester

Nach der Predigt beginnt die eigentliche Weihe: Die Kandidaten treten nacheinander vor Kardinal Marx. Der nimmt ihnen das Versprechen ab, dass sie ihm und seinen Nachfolgern gehorsam sind. Der Wortlaut des Versprechens steht in dem Buch, das ein Messdiener Marx hinhält. Beim ersten Mal schaut der Kardinal noch flüchtig hin, danach sagt er die Worte auswendig auf.

Er kennt die Worte. Es sind immer die gleichen, er hat sie bei seiner eigenen Weihe schon gesprochen. Der Ablauf einer Weihe ist genau festgelegt. Es gab zwar immer wieder kleine Änderungen. Bis in die 1960er Jahre wurden beispielsweise auf lateinisch gehalten. Komplett! Aber der Grundablauf der Weihe ist schon immer gleich — seit Jahrhunderten. Bei dem Gedanken kann man schon weiche Knie bekommen.

Während die Gemeine nacheinander die Heiligen anruft mit den Worten „Heilige Maria, bitte für uns“ liegen die Priesterkandidaten auf dem Boden. Der Sinn: Sie sollen sich damit vor Gott klein machen.
Nach der Weihe bekommen die Kandidaten das rote Gewand übergelegt: Sie sind jetzt Priester.

Dann kommt der Moment, anlässlich dessen mein Bekannter warnte, ich solle mich nicht dazu legen: Die Kandidaten legen sich auf den Boden. Franziskus erklärt mit später: Sie machen sich klein vor Gott, während die Gemeinde die Heiligen „anruft“. Der Witz hinter der Bemerkung meines Bekannten: nicht, dass ich plötzlich Priesterin werde. Aber Frauen können ja keine Priester werden. Darüber werden Franziskus und ich an diesem Wochenende auch noch reden.

Die Vorstellung, sich einfach daneben zu legen und zu schauen, wie die Leute reagieren, wäre schon witzig. Und angenehmer für die Füße. Die Gemeinde singt: „Heilige Maria, bitte für uns“, „Heiliger Markus, bitte für uns“, „Heiliger…“ — und so weiter. Das macht sie mit sehr vielen Heiligen. Insgesamt dauern die Anrufe acht Minuten. Das klingt kürzer als es sich anfühlt.

Ich schaue mich in der Kirche um, auch einige andere singen nicht mit, ich frage mich, was in den Köpfen vorgeht. Die Gemeinde, die Priester, der Bischof: Sie können doch nicht alle acht Minuten lang nichts denken außer dieser Worte?

23 Minuten Schritt, Schritt, runter, hoch, Schritt, Schritt

Das ist die Liste mit den Namen der Heiligen, die mit den Worten „Heilige Maria, bitte für uns“ nacheinander angerufen werden. Man sieht: Es sind sehr viele. Acht Minuten hat dieser Teil der Weihe gedauert.
Als erstes legt Erzbischof Marx den Kandidaten seine Hände auf, dann folgen die anderen Priester
Auszug der Messdiener, des Bischofs, der alten und neuen Priester: Es sind viele.

Die Handauflegung beginnt. Das, wofür Franziskus und all die anderen Priester da sind. Die Priesterkandidaten knien sich zuerst nacheinander vor Kardinal Marx, der sie segnet. Danach knien die acht Kandidaten in einer Reihe — und nacheinander kommen alle bereits geweihten Priester von hinten nach vorne, um ihnen ebenfalls die Hände aufzulegen.

23 Minuten wird das gehen. Irgendwann mache ich im Kopf mit: Schritt, Schritt, Drehung zum nächsten Kandidaten, Hände runter, Hände hoch, Drehung weg, Schritt, Schritt, Drehung zum Kandidaten, Hände runter, hoch— und so weiter. Der Chor hört irgendwann auf zu singen, sodass der Rhythmus im Kopf lauter wird.

Andere Welt

Vielleicht nach einer viertel Stunde Handauflegung komme ich von den Schmerzen in meinen Füßen wieder darauf, wie verrückt das hier eigentlich ist. Wie für mich unrealistisch diese Realität hier ist. Das könnte eher ein Film sein als echt: Hunderte Menschen schauen auf hunderte Männer in langen Gewändern, die sich gegenseitig die Hände auflegen und sehen darin das Wirken Gottes. Das ist für sie so wichtig, dass sie extra aus ganz Deutschland, wie wir, oder von noch weiter her anreisen.

Bis vor einigen Wochen habe ich mir nie darüber Gedanken gemacht, dass es so etwas wie Priesterweihen gibt und was dort passiert.

Als die 23 Minuten vorbei sind, geht alles auf einmal ganz schnell. Der Chor setzt wieder ein, die Menschen singen mit, die acht Kandidaten bekommen ein rotes Gewand überlegt

— und auf einmal sind diese acht Männer Priester. Erstaunlich, wie glücklich sie das aussehen lässt.

Hier passt der Hochzeitsvergleich wieder ganz gut: wie ein Ehemann, nachdem er das erste Mal seine Braut geküsst hat – so ein Lächeln ist das.

Sie wandeln dann gemeinsam das erste Mal die Hostien, verteilen die Hostien das erste Mal an die Gemeinde, sprechen am Ende des Gottesdienstes das erste Mal den Segen.

Nach zwei Stunden und 40 Minuten ist die Priesterweihe vorbei. Die Messdiener und vielen Priester ziehen aus der Kirche aus, ich halte Ausschau nach Franziskus. Ich sehe ihn vor lauter Priestern nicht.

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