Sternsingeraktion: Unterwegs mit Königen

Am Wochenende waren in Roxel Sternsinger unterwegs. Einmal im Jahr ziehen Kinder in ganz Deutschland verkleidet als Könige und Königinnen durch die Straßen, klingeln bei den Leuten, singen etwas, und sammeln so Geld für Kinder auf der ganzen Welt.

Valerie
Valerie und der Priester

--

Drei Königinnen in Roxel

Die Kirche ist voller kleiner Könige. Sie sitzen verteilt in den ersten Bänken, in goldenen, roten und blauen Umhängen, in der Hand halten sie Stöcke mit einem Stern am Ende und ihre Kronen sind aus Pappe oder Papier. Sie schauen auf Franziskus, der vor dem Altar steht und eine kleine Puppe in der Hand hält. Es ist die Jesusfigur aus dem Krippenspiel, das auch jetzt noch in der Kirche steht, denn hier ist noch Weihnachtszeit.

Einzug in die Kirche
In einem Gottesdienst segnet Franziskus die Kreide

„Ihr seid hier um die Freude, dass Jesus geboren wurde hinauszutragen“, erklärt Franziskus den Kindern. „Seid wohlerzogene Könige und sagt danke.“ Die Kinder lachen, Franziskus auch, es kann los gehen.

Am Wochenende verwandelten sich in ganz Deutschland Kinder in Könige, sie wurden Sternsinger. Sie zogen von Haus zu Haus, um Geld für Kinder in Not zu sammeln und den Segen von Haus zu Haus bringen.

Am 6. Januar feiert die katholische Kirche die „Erscheinung des Herrn“, ich kannte den Tag bisher vor allem unter dem Namen „Heilige drei Könige“. Die Bibelgeschichte dazu: Die Weisen aus dem Morgenland folgen dem Stern von Bethlehem, um den neuen König der Juden zu finden. Sie beschenken ihn und tragen das Wissen um seine Geburt in die ganze Welt. „Wir feiern an dem Tag, dass Jesus nicht nur für Christen da ist, sondern für alle“, erklärte mir Franziskus vorab.

Christus Mansionem Benedicat

Über die Jahrhunderte hat sich die Idee von den drei Königen Balthasar, Caspar und Melchior eingebürgert. Davon steht aber nichts in der Bibel. Dort steht auch nichts über die Hautfarbe der Weisen. In der Idee kommen die Könige aus Europa, Afrika und Asien, was schön ist. Aber irgendwie hat sich etabliert, dass das auch unbedingt durch Hautfarben dargestellt werden müsse, weshalb sich weiße Menschen an diesem Tag schwarze Farbe ins Gesicht schmieren — was man „Blackfacing“ nennt. Das hat mich erstmal abgelenkt, als ich die Kirche betrat, weil ich die Problematik um diese Praxis im Kopf hatte.

Immer wieder wird in Deutschland darüber diskutiert, ob Blackfacing rassistisch ist. Viele sagen nein, weil man es ja im Kontext sehen müsse. Viele sagen aber eben schon, weil man die Praxis nicht losgelöst von ihrer Geschichte betrachten kann, zum Beispiel hier oder hier. Erst einen Tag zuvor hatte ich diesen Artikel darüber gelesen, der das Problem in der Debatte für mich noch einmal gut zusammengefasst hat. Und nach der Sternsingeraktion habe ich unter anderem diesen Artikel gelesen, der fragt, warum Blackfacing sein muss in einer Zeit, in der man von der Hautfarbe eines Menschen sowieso nicht automatisch auf dessen Heimat schließen kann.

In den vergangenen Jahren sind es, so erzählen mir Leute hier, immer weniger Sternsinger geworden, die ihre Gesichter schwarz anmalen. Und die meisten in Roxel haben es auch nicht gemacht. Und ich weiß, dass diejenigen, die es taten, das nicht böse meinten — aber trotzdem will ich auf die Problematik hinweisen, sie war eben in meinem Kopf.

Hier in Roxel sind die Könige einen Tag nach „Erscheinung des Herrn“ losgezogen.

Der Tag beginnt mit dem Gottesdienst, in dem Franziskus den Königen sagt, dass sie Freude hinaustragen. Franziskus segnet dafür ihre Kreide und Sticker. Damit sollen die Könige „20 * C + M + B + 17“ an die Häuser bringen, so tragen sie den Segen in die Welt hinaus, wie es die Weisen aus dem Morgenland taten. Der Spruch steht für „Christus mansionem benedicat“ — Christus segne dieses Haus. Dazwischen drei Kreuze, die für die Dreifaltigkeit stehen, und der Stern von Bethlehem.

Die Kinder verteilten den Segen — mit Kreide oder auf Aufklebern

Es liegt Schnee, das ist schön, aber kalt. Ich höre Kinder über ihre kalten Zehen jammern, aber keines über die Sternsingeraktion an sich.

Ich ziehe mit Anna, Judith und Deniz, 15 und 16 Jahre alt, um die Häuser. Deniz ist aus der Türkei und zum ersten Mal dabei. Judith und Anna sind alte Hasen. Die meisten Kinder sind jünger als die beiden, aber es haben noch Gruppen gefehlt, da haben sie ausgeholfen. Warum? „Es macht Spaß, weil die Leute an den Türen so unterschiedlich sind. Es ist schön zu sehen, wie sich die Leute freuen, wenn wir kommen“, sagt Anna. „Kinder unterstützen Kinder, das ist eine gute Sache“, sagt Judith.

Die Sternsinger ziehen von Tür zu Tür

In Roxel sind insgesamt 76 Sternsinger unterwegs, sie haben sich die Straßen aufgeteilt, sodass so gut wie jedes Haus im Ort besucht werden soll. Anna, Deniz und Judith sind für die Straßen neben der Kirche zuständig.

Sie klopfen und klingeln an jeder Tür, wenn jemand nicht da ist, stecken sie Zettel, die von ihrer Aktion erzählen, in die Briefkästen. Wenn die Menschen aufmachen, fangen die drei Mädchen gleich an zu singen.

Das Lied, was alle Sternsinger im Voraus gelernt haben. Immer wenn sich eine Tür öffnet, singen sie es

Es ist der immer gleiche Text, aber das Lächeln hinter den Türen ist immer ein anderes. Einige haben die Geldscheine schon in der Hand, einige Süßigkeiten, andere warten erstmal das Ständchen ab und verschwinden dann noch einmal kurz in der Wohnung. Geben tut jeder etwas in die Spendenbox.

Seit 1958 sammelt das Kindermissionswerk mit der Sternsingeraktion Geld für Kinderhilfsprojekte. Laut eigenen Angaben ziehen in Deutschland jährlich um die 300.000 Sternsinger von Tür zu Tür. 2015 kamen so 45,5 Millionen Euro zusammen. In diesem Jahr soll das Geld an Hilfsprojekte in Kenia gehen.

Das komischste, was Anna und Judith in ihren Königsjahren mal erlebt haben: Ein Typ, der in Bademantel und mit Zahnbürste vor ihnen stand, sich das Lied geduldig anhörte und dann nur sagte: „I don’t unterstand“ — gegeben hat er trotzdem was.

Das Schönste, das sie immer wieder erleben: wenn man den Leuten ansieht, dass sie den ganzen Tag schon auf sie gewartet haben, oft sind es ältere. In einer katholisch geprägten Region wie Münster erwartet man die Sternsinger eben schon, viele waren bestimmt selbst mal welche.

Franziskus lässt die Sternsinger auch zum Pfarrhaus kommen. Weil seine zwei Mitbewohner nicht da sind, lässt er sie drei Mal an den verschiedenen Türen singen. Er rennt jedes Mal vorher hinein, dann klingeln die Kinder, Franziskus öffnet die Tür, und sagt dann immer überrascht: “Oh, die Sternsinger!” Die Kinder lachen, der Priester auch. Franziskus hat Spaß an den Traditionen, das merkt man, er holt auch einen Stuhl für die Kinder, damit sie die Aufkleber oben an die Tür kleben können. Er selbst will es nicht tun, nur weil er größer ist — die Sternsinger sollen schließlich den Segen verteilen. An allen drei Türen gibt es eine Packung Prinzenrolle.

Franziskus werkelt tagsüber im Pfarrzentrum, steht bereit für Fragen und Anliegen der einzelnen Gruppen. Einmal geht er selbst mit den Sternsingern los — zum Seniorenheim „Pastors Garten“. Sie gehen durch alle Etagen und stellen sich vor die Frauen und Männer, die leuchtende Augen bekommen, als sie den Kindern zuhören.

Insgesamt sind die Kinder mit Pausen von etwa 10 bis fast 18 Uhr unterwegs. Am Ende haben sie rund 8.300 Euro eingesammelt — allein hier in Roxel.

Unterwegs ins Seniorenheim. Wir laufen die durch alle Etagen, die Kinder singen, Franziskus stellt sich an die Seite und hört zu.

Franziskus bedankt sich oft bei den Königen für ihre Arbeit. Genauso wie viele Menschen an den Türen. Sie meinen wohl einerseits für das Sammeln von Geld, für die Zeit, die sie sich an einem Samstag nehmen. Dafür, dass sie freiwillig frieren. Und immer das gleiche Lied singen ohne sich zu beschweren, sondern mit Freude dabei bleiben. Sie bedanken sich sicherlich auch für den Besuch, den bestimmt nicht alle mehr so oft bekommen.

Segen-to-go

Am nächsten Morgen findet ein Dankgottesdienst für die Kinder statt. Während der Predigtzeit fragt Franziskus die Kinder nach ihren Erlebnissen.

Während der Gabenbereitung bittet Franziskus alle Könige nach vorne, sie stellen sich in einem Kreis um den Altar

Ein Kind erzählt von der Dame, die sie gebeten hätte noch bei ihrer Schwester vorbeizuschauen — die sei am Tag zuvor 90 geworden und aus dem Krankenhaus gekommen und warte schon den ganzen Tag auf die Sternsinger. Dann seien sie, die Könige, dort vorbei gegangen, obwohl das Haus nicht in ihrer Straße lag. Eine Gruppe hat Kakao bekommen, um sich aufzuwärmen. Und eine andere ein selbstgemaltes Bild von einem Mädchen, das sie schon erwartet hat. Neben drei Kindern hat ein Auto angehalten, der Fahrer wollte das Ständchen hören und gab dann auch Geld in die Dose. „Segen-to-go“, sagt Franziskus nach der Geschichte, die Gemeinde lacht.

In seiner Predigt, die ein Zwiegespräch ist, fragt Franziskus die Kinder, warum die Menschen so viel in die Dose gegeben hätten? Er antwortet dann selbst: „Ihr habt den Menschen Freude gegeben und das hat dazu geführt, dass auch sie etwas geben wollten.” Sie, die Könige, hätten so Liebe verteilt. „Dafür danken wir Euch ganz herzlich.“

Nach dem Gottesdienst ordneten Franziskus und die Messdiener die Süßigkeiten, die übrig geblieben sind. Obwohl jeder König und jede Königin reichlich Schoki und Kekse mit nach Hause nehmen konnten, sind es noch vier volle Kisten. Die verteilen sie in den zwei Flüchtlingsunterkünften in Roxel.

In einer der Flüchtlingsunterkünfte in Roxel

Wir fahren zu dritt zu einer am Rand von Roxel, viele Familien leben dort. Wir gehen von Tür zu Tür, Franziskus mit einer Krone auf dem Kopf, in den Händen die Kiste voll Schokolade. Auch hier bedanken sich alle herzlich, zuerst erstaunt, dann wundernd, schließlich lachend.

Ein junger Mann aus dem Irak, der Deutsch spricht, führt uns in der Anlage herum und erklärt den Bewohnern, woher die Süßigkeiten kommen. Als alles verteilt ist und wir uns verabschieden, will er noch, dass ich kurz ein Foto von ihm mache. Er fragt nach der Krone, Franziskus gibt sie ihm, er setzt sie sich auf und lächelt. Ein König.

--

--