Ich will mitmachen!

Franziskus und ich haben uns seit mehr als einen Monat nicht gesehen. Was alles passiert: Die Fastenzeit lässt mich die Gemeinsamkeiten zwischen Priestern und Vegetariern entdecken. Ich bin seine Chauffeurin. Und nach einem Ausflug mit der ganzen Gemeinde frage ich mich, wieso ich mich eigentlich immer in die letzte Reihe setze.

Valerie
Valerie und der Priester

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Neue Perspektiven: Franziskus und ich in der St. Pantaleon Kirche in Roxel. Foto: Michael Bönte

Eine Bratsche. Falls er mir das jemals erzählt hat, habe ich es vergessen. Es ist ein Mittwoch Ende März, und ich stehe das erste Mal wieder im Priesterhaus in Münster, zwischen einem Dutzend Mädchen und Jungen, die zum Jugendgebetskreis hierhergekommen sind. Sie starten mit einem Lobpreis. Für musikalische Unterstützung sorgen eine Jugendliche am Klavier, eine an der Querflöte — und Franziskus an der Bratsche. Ich muss laut lachen. Beim letzten Besuch hatte er doch versucht, Gitarre zu lernen. Tja, man lernt nie aus, auch nicht nach zehn Monaten.

Franziskus und ich hatten in den vergangenen Wochen eine Pause eingelegt, aus praktischen Gründen: Seit Ende April letzten Jahres bin ich in Roxel. Der Blog ging aber im Mai online, weshalb „Valerie und der Priester“ auch so lange laufen soll. Außerdem bekomme ich so noch Ostern mit, und Franziskus hat anschließend Zeit, meine Texte zu lesen. Bisher kennt er nichts aus dem Blog.

Das Jahr ist bald um

Franziskus war während der letzten zwei Wochen mit seiner Gemeinschaft in der Wüste in Jordanien: Exerzitien, um Gott zu begegnen. Davon ist er, merke ich später, im wahrsten Sinn beseelt. Ich war während unserer Auszeit drei Wochen auf Kuba. Einmal sah ich dort zufällig das Ende einer Messe und dachte, wie verrückt es ist, dass sich Millionen Menschen auf der ganzen Welt jeden Sonntag den Frieden wünschen. Sonst war nicht viel mit Kirche und Glaube. Hat mir etwas gefehlt? Ehrlich gesagt, nein. Aber als es wieder Zeit zur Abreise war, habe ich mich auf Münster-Roxel und seine Menschen gefreut, und vor allem natürlich auf Franziskus.

Als erstes sind mir dann die Kirschbäume vor dem Pfarrhaus aufgefallen. Sie blühten bei meinem ersten Besuch in Roxel, und jetzt blühen sie schon wieder. Das Jahr ist bald um.

Der Jugendgebetskreis ist noch genauso cool wie beim letzten Mal. Ich mag, dass man merkt, wie gut er den Jugendlichen tut. Auch sie lächeln am Ende immer ganz beseelt; und das ist mehr als ein „Geil, Pizza!“-Lächeln.

Etwas ist noch neu: Ich bin in dieser Woche Franziskus’ Chauffeurin. Franziskus musste nämlich seinen Führerschein abgeben. Dass er schnell fährt, hatte ich ja schon erwähnt. Einmal war es dann zu schnell: Es war neben einer Baustelle, niemand sonst sei dort gewesen. Außer diesem einen Wagen hinter ihm, der aber genauso schnell fuhr wie er selbst. Das passt schon, dachte Franziskus daher. Irgendwann aber überholte ihn dieses eine Auto, und hinten erschien ein Schild für Franziskus: „Bitte rechts ranfahren.“ Polizei in Zivil. Tja, Priester sind auch nur Menschen.

Am zweiten Tag sitzen Franziskus und ich im Priestergarten in der Sonne. Frühling, yes! In meiner Waffel zerfließen Kirsch- und Cookies-Eis. Franziskus beißt in einen Apfel. Es ist Fastenzeit, und er verzichtet auf Butter, Alkohol und Süßes. Ich erzähle ihm, dass ich ursprünglich mal den Plan hatte, ebenfalls zu fasten. Meine Idee war, vegan statt vegetarisch zu leben. Aber ehrlich gesagt habe ich es vergessen.

Nicht einmal Cookies-Eis in der Fastenzeit

Franziskus fragt, warum ich das überhaupt tun wollte. Ich: „Eigentlich fände ich es besser, generell vegan zu leben, aber dafür ist schlicht mein Willen gerade zu schwach. Die Fastenzeit wäre ein begrenztes Zeitfenster, um es mal zu probieren. Ich kenne einige, die fasten, obwohl sie keinen religiösen Bezug haben: Sie verzichten auf Facebook, benutzen das Smartphone nicht mehr nach 20 Uhr, essen keine Schokolade.“

Was sind Franziskus’ Gründe? „Ich möchte mich durch das Fasten auf Ostern einstellen. Der Verzicht dient dazu, von sich selbst weg und auf das Wesentliche zu schauen. Man ist mehr offen für das, was Gott einem zeigen möchte, wenn man noch eine gewisse Leere in sich hat — anstatt völlig gesättigt zu sein.“

Fotos: Michael Bönte

Ich frage ihn, warum er nicht mal Fleisch fastet: Immerhin würde das zumindest auch außerhalb der religiösen Sphäre etwas bringen. Mehr zumindest, als Butter- und Schokoverzicht (wobei ich die Frage in den Raum werfe, ob der Verzicht auf Schokolade je etwas Gutes bewirken kann). Franziskus sagt eigentlich nichts dazu, nur, er sei für Anmerkungen offen.

Mission durch Gartenpflege

Später denke ich darüber nach, ob das jetzt so sinnvoll war von mir, ihn ungefragt belehren zu wollen. Das ist schließlich das, was ich bei einigen Christen kritisiere — und was Franziskus eben nicht tut. Was nicht heißt, dass er nicht missionieren will. Aber er sagte mir mal: Mission ist nicht, ungefragt den Garten des Anderen zu betreten, sondern sein Gartentor offen zu lassen. Die Menschen können den Garten sehen, aber müssen von selbst kommen. Quasi Mission durch Gartenpflege. Sein Garten ist der Kollar unter seinem Hemdkragen. Damit legt er Zeugnis ab: Zeugnis davon, dass Gott ihm so viel wert ist, dass er ihm sein Leben verschrieben hat.

Daran muss ich in einer Situation einige Tage später denken. Ich sitze am Tisch mit einigen Katholiken, und das Vegetarierthema geht los: Sobald man zur Gemüsefrikadelle statt zum Schnitzel greift, fühlt sich jemand berufen, dazu einen Kommentar abzugeben. Dabei tut sie nichts, sie liegt da nur rum. So weit, so normal. Die Sprüche sind dieses Mal harmlos. Deswegen, und weil ich an die Situation einige Tage zuvor denke, sage ich nichts weiter dazu. Also zumindest nicht, warum ich diesen „Vegetarismus-Trend“ für eine ziemlich gute Sache halte.

An dieser Stelle muss dazu gesagt werden: Das ist natürlich nichts spezifisch Katholisches. Sobald ich meine Berlin-Blase verlasse, ist Vegetarismus wieder etwas Exotisches.

Verzicht aus Überzeugung

Ich weiß auch nie, was genau von mir erwartet wird, wenn ich gefragt werde: „Willste Schnitzel? Zur Heilung, haha! Das Fleisch sieht man nicht — ist ja paniert! Haha!“? Dass ich lache? Weine? Streite? Oder sage: „Stimmt, so habe ich das ja noch nie gesehen, schieb’ rüber das gute Fleisch!“

Früher habe ich dann oft angefangen, solchen Sprüchen seriös zu begegnen, indem ich von meiner Motivation erzählte. Das führte dann meist dazu, dass mir vorgeworfen wurde, ich würde anderen meine Meinung aufzwingen und ihnen ihr Schnitzel absprechen, und man fragte mich, warum ich — ja, ich — denn immer wieder mit diesem Thema anfinge.

An sich rede ich gern über das Thema, das halte ich sogar für wichtig. Aber es macht einen Unterschied, ob man mit jemanden redet oder über ihn lacht. Und das passiert oft. Aber in der Katholiken-Sphäre ärgert es mich noch mehr als sonst. Denn: Ich stehe total auf Schnitzel. Seit vier Jahren esse ich trotzdem keines. Ich verzichte aus Überzeugung. Ich finde, das sollten gerade Christen verstehen.

Erst Messe seit Wochen; es braucht dazu keine Kirche: Franziskus feiert sie gemeinsam mit Menschen in einem Haus mit Sozialwohnungen.

Ich fühle mich priesterlich

Jedenfalls sage ich dieses Mal nichts. Das Essen macht Spaß, die Stimmung ist gut, wir reden über andere schöne Dinge, die ungefährlicher sind.

Und dann passiert das: Einer aus der Runde kommt nach dem Essen noch einmal zu mir und fragt, warum ich Vegetarierin bin. Es passiert nichts weiter, ich zähle ihm kurz ein paar Gründe auf (z.B. Tier-, Klima-, Umweltschutz, Welthunger. Und ich habe schon vorher nur Fleisch gegessen, dem man nicht ansah, dass es mal gelebt hat, ich fand, dann sollte ich es vielleicht einfach lassen). Er nickt, wir grüßen uns, fertig. Er wird jetzt ziemlich sicher kein Vegetarier. Aber mir tat das trotzdem gut. Er hat zumindest mal gefragt, Augenhöhe statt Gespräche von oben herab. Das ist unfassbar wichtig, wie ich an dieser Stelle ja nicht müde werde zu betonen.

Jetzt sitze ich am Steuer!

Ich fühle mich danach ganz priesterlich. Ich habe keine Tore aufgestoßen, aber alle in meinen Garten schauen lassen und abgewartet — statt, wie früher, gleich Konter zu geben. Und dann kam einer, um mal zu schauen.

Später erzähle ich Franziskus: „Die Gemüsefrikadelle ist mein Kollar!“ Er lacht. Er hat ganz am Anfang mal einen Vegetarismus-Spruch gemacht, aber das tut er schon lange nicht mehr. Ich glaube, er kann meinen Punkt nachvollziehen. Und ich glaube, wir wissen mittlerweile, was uns wichtig ist. Wir kennen uns ja inzwischen auch ganz gut. Und wir lachen viel — das mit den Witzen war ja anfangs auch keine Selbstverständlichkeit.

Foto: Michael Bönte

Aber was ich auch merke, in der ganzen Wiedersehensfreude: Einige Situationen bleiben seltsam, für beide, da hilft auch ein Jahr nichts.

Zum Mittagessen kommen Freunde von Franziskus, mit denen er in der Wüste war, auch die sind ganz beseelt. Sie freuen sich gigantisch, sich wiederzusehen. Es tut vermutlich gut, so kurz nach Jordanien mit Menschen zu sprechen, denen man nicht erklären muss, was sie da erfahren haben. Vor dem Essen wollen sie also noch zusammen einen Lobpreis in der kleinen Kapelle im Priesterhaus singen. Der Raum ist zwei mal zwei Meter groß. Mich neben sie zu quetschen und irgendwohin zu starren, halte ich für nicht sehr zielführend. Also sitze ich am gedeckten Mittagstisch und warte. Fünf Minuten, zehn Minuten, fünfzehn Minuten. Drüben der Gesang — und hier funktioniert das W-Lan nicht.

Da kommste nich’ raus

Jep. Das ist seltsam. Wie beim Kindergeburtstag, zu dem man geschleppt wurde, weil die Eltern sich kennen, aber man selbst ist das fremde Kind, das die Spiele nicht kennt.

Franziskus entschuldigt sich später für die seltsame Situation. Aber das ist die Schuld von niemandem, zuallerletzt von Franziskus und seinen Freunden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass auch sein Lobpreis schöner gewesen wäre, wenn er nicht gewusst hätte, dass ich draußen sitze. Aber was hätten wir machen sollen?

Foto: Michael Bönte

Er hätte mich nicht einladen können, dann hätte ich mich genauso komisch gefühlt. Oder ich hätte abgesagt, was auch komisch wäre, nur, weil sie Katholiken sind. Oder sie hätten nur wegen mir keinen Lobpreis gemacht, auch scheiße. Ihnen ist das eben wichtig, was völlig in Ordnung für mich ist. Und ich will nicht mitmachen, was für Franziskus in Ordnung ist. Dann kommt das hier heraus. Das lässt sich nicht auflösen. Unsere Alltage passen, abseits solcher Projekte, eben eigentlich doch nicht zusammen.

Mit 170 Katholiken auf der Burg

Das Wochenende haben Franziskus und ich auf einer Burg verbracht. Nein, nicht seiner eigenen (Franziskus hat seine ersten drei Lebensjahre in einem Schloss gelebt, dort waren wir auch). Zusammen mit 170 anderen Kindern, Frauen und Männern waren wir dort für das Familienwochenende ihrer Pfarrei St. Liudger. Es gab Programm für Kinder und Erwachsene, ein Lagerfeuer, Kaffee oder Kakao und einen Burggraben — also alles, was man braucht. Oh, und eine biblische Burgführung und einen christlichen Escape-Room. Sinn von all dem: Gemeinschaftsgefühl stärken. Und den Glauben.

Als ich mit den Paaren und Kindern spreche, merke ich, dass es funktioniert. Sie singen viel gemeinsam, in Klein- und Großgruppen, sie lachen viel, sie beten auch.

Die ersten zwei Reihen von oben: Eindrücke vom Familienwochenende. Die unteren zwei Reihen: Im Rahmen des Wochenendes hat Franziskus zwei Jungen der Gemeinde getauft. Sie sind schon etwas älter als normalerweise, bekamen so schon mit, was da vor sich ging und hatten reichlich Spaß. Franziskus erklärte ihnen: “Mit der Taufe seid Ihr nun Könige, Priester und Propheten des Christentums.

Franziskus hat unter anderem den Workshop für Paare „Eheversprechen Reload“ angeboten. Sieben Pärchen sind gekommen. Die meisten sind fast zwanzig Jahre verheiratet. Franziskus verteilt das Versprechen, was sie sich damals gegeben haben und die Eheprotokolle, die sie unterzeichnet haben. Daran können sich die meisten kaum noch erinnern. Jemand will eine Diskussion darüber beginnen. Franziskus sagt, in diesen neunzig Minuten, gehe es ihm um etwas Anderes. Schade, denke ich.

Stattdessen verteilt Franziskus Fragen, alle Paare sollen miteinander spazieren gehen und darüber sprechen. Und wenn sie mögen, lädt er sie anschließend in die Kapelle ein, wo er sie als Paar noch einmal segnen würde.

In der Kapelle während des “Eheversprechen Reload”

Eine halbe Stunde später. Wir sind in der Kapelle. Franziskus steht vor dem Altar, nacheinander treten die Paare zu ihm, die anderen singen „Ubi caritas et amor deus ibi est“: Wo Liebe ist, da ist Gott.. Dieser gleichbleibende Gesang, immer nur die gleichen zwei Sätze, lässt einen in eine Art Trance fallen.

Man sieht von weitem, wie Franziskus etwas sagt, der Segen. Einige der Teilnehmer haben ihre Augen geschlossen, andere schauen ihren Partner an, als ob seit der Hochzeit keine zwanzig Jahre vergangen seien. Als sie zu ihren Plätzen gehen, sind sie gerührt. Danach sitzen sie enger beieinander als zuvor. Das hier, finde ich gerade, ist viel doch besser als eine Diskussion.

Franziskus sagt ja immer, viele meiner Fragen in Bezug auf Kirche seien für ihn Randthemen — genau wie Diskussion über das Protokoll, in die wir wohl abgedriftet wären. Er spricht darüber, weil er weiß, dass das anderen und vor allem mir wichtig ist (hier, hier, hier). Aber für ihn geht es darum nicht in der Kirche. Für ihn geht es um das hier.

Mich rührt ihre Rührung. Es ist schön, dass die Paare sich in Erinnerung rufen, was sie einander bedeuten. Keine Ahnung, wie sehr Gott dort mit hineinspielt. Aber sie hätten auch weiter spazieren können, statt sich segnen zu lassen.

Abschlussabend beim Familienwochende: Die Priester haben einen Sketch aufgeführt. Er handelte von einer Hochzeit, die unterbrochen wird, als ein Affe hinein platzt und dem Bräutigam ans Bein pinkelt. Franziskus war dieser Affe. Er ist so viel umher gesprungen, die Kinder kreischten und auch die Erwachsenen zeigten Anerkennung: So könnten sie nicht mehr herumspringen. Tja, auch Priester können Affen spielen.

Der Abschluss des Wochenendes ist die Sonntagsmesse. Die Stühle für die Kinder, Frauen und Männer sind in einem Halbkreis in drei Reihen angeordnet. Vorn auf der Bühne steht der Altar, dahinter sitzen Franziskus und seine zwei Mitbewohner Timo und Christian. Ich steuere auf einen Tisch zu, an der Wand, hinten, da, wo ich immer sitze.

Da fragt mich eine Frau aus der Gemeinde, ob ich mich nicht neben sie setzen wolle. Ich verneine. Sie lächelt und sagt: „Du musst nicht immer in der letzten Reihe sitzen.“ Sie dreht sich um. Und ich fühle mich komisch. Weil sie mich erwischt hat. Ich denke: Ja, ich muss nicht immer in der letzten Reihe sitzen. Wieso sitze ich eigentlich immer in der letzten Reihe?

Eindrücke aus der Abschlussmesse am Sonntag: Wieder keine Messe in der Kirche, sonder in einer Aula.

Die Messe läuft vorn an: Kreuzzeichen, Schuldbekenntnis, Kyrie, Gloria. Nach der Wandlung folgt das Vaterunser, und die Gemeinde nimmt sich an den Händen. Einer dreht sich zu mir um und fragt, ob ich mitmachen will. Und ich verneine wieder. Er dreht sich um, sie feiern Gemeinschaft, ich bin außen vor. Und fühle mich wieder seltsam.

Dann ärgere ich mich. Dass ich mich nicht in eine kleine Kapelle stelle, okay. Aber das ist halt ein Kreis. Das Vaterunser muss ich ja nicht mitsprechen, also, warum habe ich mich nicht einfach dazugestellt? Klar, weil ich Journalistin bin. Aber so fühle ich mich gerade nicht. Ich fühle mich wie beim fremden Kindergeburtstag. Ich will mitspielen. Warum habe ich nein gesagt?

Ich lese gerade das Buch „Das Lächeln meines unsichtbaren Vaters“ von Dmitrij Kapitelman. Darin erzählt er wie er und sein Vater das erste Mal nach Israel reisen. Sie leben in Deutschland, kommen aus der Ukraine und sind Juden auf dem Papier, aber nicht gläubig. Mit der Reise will Kapitelmann das Lächeln seines Vater wiederfinden, das irgendwann veloren ging.

Am Sonntagabend, wieder zurück in Münster, lese ich in diesem Buch und bleibe an zwei Stellen bleibe ich hängen. An einer Stelle spricht Kapitelman von „atheistischem Trotz“. Und ich denke: Ja, das ist es: Ich bin trotzig. Warum? Würde mich hier keiner kennen, hätte ich mich natürlich dazugestellt. Aber hier weiß ja jeder, dass ich nicht katholisch bin. Ich habe Angst, dass sich sofort jemand vor mich stellt und schreit: „Bekehrung!!!“

Foto: Michael Bönte

An einer anderen Stelle erzählt Kapitelman, wie orthodoxe Juden ihn auf einem Platz in Tel Aviv fragen, ob er mit ihnen ein jüdisches Gebet feiern will. Kapitelmann ist niemand, von dem man das erwartet. Auch eher Typ, ungläubiger Hipster aus Berlin wie ich.

Aber er macht einfach mit. Er kann sich nicht ganz darauf einlassen und findet vieles noch immer seltsam. Aber er spricht die hebräischen Segenssprüche nach und sogar ein stilles Gebet. Als Begründung schreibt er:

„Ich bin so seltsam willenlos, dass ich in diesem Moment auch der Patenschaft für eine Nilpferdfamilie zustimmen würde (sofern es sich um israelische Nilpferde handelt). Aber irgendwie ist es schön, sich zu ergeben. […] Ich richte die Innenseiten meiner Hände in Richtung Kopf und senke ihn ein wenig, Ich glaube, die Moslems handhaben das auch immer so. Macht was her. Schließe meine Augen. Tja, na ja. Ich wünsche mir irgendwie alles und gleichzeitig nicht viel, ist ja mein erstes Vorsprechen. Zehn Sekunden in dieser Körper- und Seelenhaltung. In diesem Moment bin ich der gläubigste Ungläubige, der ich nur sein kann.“

Und ich frage mich, wovor ich eigentlich Angst habe. Dmitrji Kapitelman hat’s auch getan, einfach mal mitgemacht. Ich bin noch nicht durch mit seinem Buch, aber denke, es wird schon gut gehen. Wenn ich mich in Messen wie auf fremden Kindergeburtstagen fühle, kann ich ja nie alles mitnehmen. Aber ich will alles mitnehmen, ich will mitmachen.

Ich habe das Buch schon eine ganze Weile weggelegt und mich gefragt, ob es jetzt zu spät ist. Aber noch bin ich hier. Und Franziskus sagt immer, das Beste am Kirchenjahr ist sowieso Ostern.

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