Das sagt Franziskus zum Blog

Kapitel 13 — Während des ganzen Jahres hat Franziskus keinen Text von mir gelesen. Das hat er jetzt nachgeholt. Seine Reaktion in einem Brief.

Valerie
Valerie und der Priester

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Franziskus hat sich den Blog ausgedruckt, damit er die Artikel unterwegs lesen und vollkritzeln kann

Nach Ostern hat Franziskus den Blog gelesen. Das erste Mal. Hier könnt Ihr lesen, was er dabei dachte, an welchen Stellen er lachte, welche ihm unangenehm waren und wo ich ihn vielleicht falsch verstanden habe.

Dieser Brief ist parallel zu meinem Text aus der vergangenen Woche „Was glaube ich?“ entstanden, den Franziskus beim Schreiben also noch nicht kannte.

Münster, im Mai 2017

Liebe Valerie!

Nun habe ich tatsächlich den ganzen Blog gelesen, fast alles auf www.valerie-und-der-priester.de geschaut und gehört, fast 20 Stunden lang. Es ist gut, dass wir vereinbart haben, dass ich Dir und der „VudP-Community“ als Reaktion einen Brief schreibe. Meine ausgedruckten 210 Seiten Text sind gespickt von Post-its und Notizen.

Es waren sooo viele Einfälle und Eindrücke. Da musste ich meine Gedanken erstmal sammeln — gar nicht so leicht! Auf jeden Fall war es absolut richtig, den Blog bis jetzt nicht zu lesen. Ich wäre sicher nicht so unbefangen geblieben.

Wo fange ich also an? Am besten beginne ich wieder (siehe mein letzter Brief) mit ehrlichen Komplimenten :-)! Was für eine Gabe, Situationen einzufangen und mit so schwungvollem Stil treffend und bildhaft zu beschreiben! Oft musste ich beim Lesen schmunzeln, bei Pointen wie „Glaube hält fit“ oder bei Wendungen wie am Schluss des Menden-Artikels. Manch von dir geschilderte Szene hat mich ziemlich berührt, zum Beispiel die vom König Flüchtling oder Dein Artikel über Frau De Palo. Ich war ja selbst dabei, aber du hast die Momente noch einmal besonders stark eingefangen und mit vielen herrlichen Bildern festgehalten.

Jetzt aus meiner „frommen“ Perspektive: Ich bin wirklich dankbar darüber, ja ich staune, welcher Segen auf unseren vielen Gesprächen lag. Mir war direkt nach den meisten Interviews bewusst, schon bei unserem ersten auf dem Weg zum Steuerberater, dass sie „geführt“ waren. Aber jetzt, wo ich alles gelesen und gesehen habe, fällt mir das erst recht auf. Für mich ist das ein Wirken des Heiligen Geistes und eine Frucht der vielen Gebete von sehr vielen treuen Unterstützern, die uns über die ganze Zeit begleitet haben.

Highlights im und außerhalb des Blogs

Das Lesen hat mir also wirklich Spaß gemacht — wie auch das ganze Jahr mit Dir. Meine Highlights waren wohl: Der WJT, weil er ein echtes gemeinsames Abenteuer war; meine „Visite“ in Berlin, weil sie mir einen besseren Einblick in Deine Welt gegeben hat; die (zu wenigen) Bierchen-Abende auf meiner Terrasse, weil sie einfach zweckfrei waren; unser Podcast, weil wir uns dadurch vertiefend mit einem Thema auseinandergesetzt haben; oder jüngst das Interview bei Radio Bremen, weil es einfach Spaß gemacht hat, gemeinsam in einem Radiostudio vom Projekt zu erzählen :-) Das bleiben wohl mein Leben lang unvergessliche Erinnerungen eines tollen Jahres!

Einige Situationen tauchen im Blog nicht auf, die mir ebenfalls in eindrücklicher Erinnerung geblieben sind. Ich denke an den lautstarken Flug nach Rom, während dem wir über Homosexualität gestritten haben. Oder wie Du mich einmal beim Predigtschreiben „gecoacht“ hast. Oder an Deine Bereitschaft, mich umher zu fahren, als ich meinen Führerschein abgeben musste. (Du hast es kurz erwähnt, doch für mich war es ein besonders ungewohntes Gefühl.) — Danke auch an dieser Stelle für diese, ja, Freundschaftsbeweise! Oder der für mich sehr starke Moment, als Du der 102-Jährigen wegen meiner Heiserkeit die Osterliturgie erklärt hast. — Oder, oder, oder… Leider ist wohl einfach nicht für alles Platz.

Das Jahr aus Franziskus’ Perspektive: Alle Fotos in diesem Brief hat Franziskus geschossen. Hier von mir bei unserem ersten Shooting. Das Gegenfoto von ihm findet Ihr hier.

Bei anderen Situationen war mir in dem Moment nicht bewusst, wie seltsam sie für dich waren, zum Beispiel als ich im Auto gebetet habe. In solchen Momenten hast Du das hast du gut versteckt :-) Ich wollte Dir einfach zeigen, wie ich lebe, wie ein Priester lebt, ohne alles zu erklären. Jetzt habe ich mich gefragt, ob ich zumindest zu Beginn ein wenig zu offen war, und dadurch für Dich zu irritierend?

Beim Lesen habe ich außerdem immer wieder kleine Fehlerchen entdeckt, die harmlos sind, aber mir natürlich auffallen. Kleines Beispiel: Ich habe nicht im Schwarzwald Rugby gespielt, sondern in Irland ;)

Entschuldigung für die vielen „ähms“

Es gab für mich auch peinliche Momente während der Lektüre. Bei manchem, was ich gesagt habe, war mir wohl nicht ganz bewusst, wie das aufgeschrieben wirken würde, zum Beispiel mein Gebrauch von Schimpfwörtern oder mein spontaner Kommentar zur Versuchung im Theater. Damit kann ich aber gut leben, letztlich haben solche Momente das Projekt so echt und menschlich gemacht.

Ach ja, und ein bisschen musste ich mitleiden, wie sehr ich immer wieder den Zuschauern in den Videos mit meinen „ähms“ auf den Wecker gegangen sein muss. Das lag sicher besonders daran, dass wir die Themen ja so völlig unvorbereitet angegangen sind. Fest steht: Videos sind nicht mein Medium — von Dir weiß ich, dass sie auch nicht deines sind. Aber sie waren halt Teil des Projekts…

Hier haben wir die die Szene “Valerie auf der Flucht” nachgestellt. Mehr Details erfahrt Ihr hier.

Ich habe beim Lesen versucht vor allem darauf zu achten, wie du Gott und den Glauben wiedergibst. Aber ich konnte nicht ausblenden, dass es eben viel um mich als Person geht. Das war gewöhnungsbedürftig. Aber du schreibst ja sehr wohlwollend statt angriffslustig, neugierig statt skeptisch! Das hat mich gefreut :-) Selbst meine Macken und Schwächen verurteilst Du nicht. Sogar als wir uns „gezofft“ haben, zum Beispiel als das Frauenthema zum ersten Mal aufkam, bleibst Du sachlich und fair mir gegenüber. Das rechne ich Dir hoch an! Ein bisschen kommt es mir so vor, als wolltest Du mich sogar besser darstellen, als ich bin…

Valerie, mir ist jetzt noch einmal deutlich geworden, wie viel Offenheit und Toleranz zwischen uns geherrscht hat. Ich habe dir mein Fotoarchiv zur Verfügung gestellt, meinen Kalender und sogar mein Exerzitien-Tagebuch. Das hat mich selbst ein wenig überrascht. Unser gegenseitiges Vertrauen hat sich sehr bewährt. Und ich denke auch, es hat sich gelohnt: So konnten die Leser einen sehr ehrlichen Einblick in einen Menschen bekommen, der für eine Institution steht, die sonst oft argwöhnisch beäugt wird.

Ich bin nur ein Priester von vielen

Ich konnte mich beim Lesen trotzdem nur schwer daran gewöhnen, dass ich als Person so im Mittelpunkt stehe. Vor allem in den ersten Beiträgen geht es ja nur um mich. Ja, ich bin „der Priester“. Aber, Dir habe ich es schon öfter gesagt: Ich bin ja nur einer von vielen. Und die Priester im Allgemeinen verweisen ja nur, um ein bisschen theologisch zu werden, auf Gott beziehungsweise genauer auf Jesus, „den Priester schlechthin“. Für mich ging und geht es letztendlich immer; darum, auf Ihn zu zeigen, Ihn abzubilden, zu bezeugen, was Jesus Christus für mich bedeutet. Für mich hätte es also mehr um Jesus gehen sollen, weniger um mich.

Gleichzeitig weiß ich natürlich was die Idee des Projektes ist: die Leser sollten mich als Menschen kennenlernen und verstehen, damit dadurch das Priester-Sein, die Kirche und der katholische Glaube besser verstanden werden können. Damit sie so vielleicht selbst den Glauben näher kommen. Das war eben das Konzept.

Links: Das hat Franziskus für mich abfotografiert. Am 20. Mai letzten Jahres ging der Blog online. Es war der Namenstag von Valeria und von Elfriede, was witzig ist, weil mein erster Artikel über eine Messe “Elfriede sei mit Dir” hieß. Rechts: Es gab auch während des Jahres Zeichen, die Franziskus darin bestätigt haben, sich mit seinem Glauben in die mediale Öffentlichkeit zu stellen. Zum Beispiel hier beim Weltjugendtag, wo viele Kameras auf das Kreuz gerichtet waren.

Am spannendsten war für mich zu erfahren, was während der ganzen Zeit in Dir vorgegangen ist — zumindest soweit Du es im Blog beschrieben hast. Du hast vieles geradezu philosophisch reflektiert, zum Beispiel im Rom-Text, als du in deinen Worten beschreibst, dass Kirche für uns Heimat und Familie ist.

Auch fand ich bemerkenswert, wie es nach unserem letzten Briefwechsel in Dir „innerlich“ weiterging. In meinem Brief hatte ich die Frage gestellt, inwieweit Du nachvollziehen kannst, was mich erfüllt, mich antreibt und bewegt. Du hast mich daraufhin gefragt, was Du dafür noch machen müsstest. Ich hatte die Antwort im Kopf, aber sagte sie zuerst nicht, weil das für mich eine Grenzüberschreitung gewesen wäre. Am nächsten Tag habe ich Dir dann doch noch geantwortet: dass Du Dich, um mich noch tiefer zu verstehen, für eine mögliche Gottesbegegnung öffnen müsstest.

Wie wird dieses Jahr in Dir nachwirken, Valerie?

Du selbst beschreibst dann ziemlich ausführlich, wie Dich diese Antwort weiter beschäftigt hat. Ich finde es mutig und ausdauernd, dass Du alles Dir Mögliche probiert hast, um Dich zu öffnen, um Glaubenserfahrungen zu machen, wie in der Karwoche, in Berlin, oder schon zuvor in Rom.

Die Gebetsschwierigkeiten, die Du beschreibst, kenne auch ich. Was Dich und mich aber unterscheidet, ist vielleicht, dass ich nicht nachlasse es zu versuchen, weil ich an ein persönliches Gegenüber glaube. Bis zum Ende gab und gibt es daher eine Diskrepanz: zwischen dem, was ich glaube; und dem, was du anscheinend überhaupt erfassen kannst. Du hast mich ein Jahr lang begleitet, aber du kannst natürlich trotzdem nicht in mich hineinschauen. Du kannst nicht fühlen, was Jesus Christus mir bedeutet. Das war auch Dein Resümee. Ich bin gespannt, wie „VudP“ bei Dir noch nachwirken wird; in beide Richtungen: Entfernung oder Annäherung?

In der Woche bevor der Blog online ging, zündete Franziskus jeden Tag diese Kerze an und betete für das Jahr. Am 20. Mai schickte er mir dann dieses Bild, sie war pünktlich abgebrannt.

Im Vergleich zu dem, was im Blog steht, hast du mir deine Gedanken und Gefühl wenig gezeigt. Es schien mir jedenfalls manchmal schwer, in dich hinein zu schauen. Nur wenn Du richtig wütend wurdest, dann war es nicht so schwer ;-) Bewusst? Oder weil ich zu wenig gefragt habe? So zumindest hast du es ja auch selbst im Blog geschrieben. Meine Erklärung dafür ist, dass ich es manchmal als indiskret empfunden habe weiter nachzufragen. Es gab für mich dann doch eine professionelle Distanz, die für so ein Projekt vielleicht notwendig und ja an sich auch nicht ungesund ist.

Aber meistens lag es schlichtweg an der fehlenden Zeit, dass ich nicht immer habe nachfragen können. Ich blieb auch aus Selbstschutz in der Rolle des Beobachteten, das ist einfacher, weniger kraftraubend. Und vor allem: Auf diese Weise wurden meine eigentlichen seelsorglichen Dienste nicht allzu sehr vernachlässigt.

Links: Die Kölner Agentur für politische Strategieberatung von Erik Flügge, dem Ideengeber zu “Valerie und der Priester”, heißt Squirrel and Nuts, Eichhörnchen und Nüsse. Rechts: Franziskus und ich mit der agentureigenen Marke “Hörnchen Bräu”.

Gerne hätte ich mehr Zeit für Dich gehabt. Nein, besser: ich hätte mehr Zeit für Dich gebraucht — nämlich um das, wozu das Projekt geworden ist, adäquat zu leben. Das ist eine Kritik am ursprünglichen Konzept von „Valerie und der Priester“: Das Projekt sollte in vollem Umfang neben meiner Gemeindeaufgaben weiterlaufen. Dadurch entstand eine gewisse Einseitigkeit, die für mich aber auch so angelegt war. Das Projekt hieß nun einmal nicht „Franziskus und die Journalistin“…

Du und ich hatten zum Teil andere Erwartungen; da haben wir ja schon x-mal drüber gesprochen. In einer Situation wurde mir das besonders deutlich: Als Du Dich — auch wenn für mich nachvollziehbar — so sehr aufgeregt hattest, weil ich „das Frauenthema“ noch nicht behandeln wollte. Aber mir ging es damals nicht darum dir zu sagen, dass dich andere Themen mehr irritieren müssten — wie du geschrieben hast. Sondern um die Frage, worauf es im Projekt ankommt: Geht es darum, was ein Priester macht und ist, und um das, was ihn bewegt, oder geht es um die „Reizthemen“?

Ich hatte auch andere Vorstellungen in Bezug darauf, wie viel du dabei bist. Ich dachte, wie viele, du weichst mir quasi von morgens bis abends nicht von der Seite.

Schnappschuss von Franziskus’ Kamera während der Messdiener-Wallfahrt nach Paderborn im Juni. Der Hut gehört Franziskus.

Das war völlig unrealistisch: Du musstest ja auch noch deine Texte schreiben und den Blog pflegen. Insgesamt bin ich halt noch stärker von einem Begleitungsprojekt ausgegangen. Das war es schon auch.

Tatsächlich, und das ist meine Quintessenz, wurde es aber ein Begegnungsprojekt. Und daraus entwickelte sich letztlich ein, ich würde sagen, „Verstehensprojekt“.

Schöne Grüße von... allen

Valerie, die häufigste Frage, die mir Menschen in diesem Jahr gestellt haben, lautete: „Wo ist Valerie?“ (Haben Dir auch so viele Leute gesagt, dass Du mich grüßen sollst? Die Weitergabe an Dich habe ich schnell aufgegeben. Das hole ich hiermit nach :-))

Eine noch viel größere Frage ist für mich: „Wer bist du, Valerie?“ Die zu beantworten dauert sicher noch. Aber es gibt ja auch noch ein Leben nach dem Blog…

Dein Franziskus

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